Behaglich und praktisch zugleich



Auch Vierbeiner Tine hat die Gemütlichkeit der .neuen' Küche der Keßlers entdeckt.	(Foto: Löchl)Küchenflair aus der Zeit um 1900 im Lindenhof-Keramik-Museum zu sehen

B r a c h t t a l - S t r e i t b e r g (dl). In die Zeitwende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück versetzt fühlten sich die Besucher der Küchenausstellung des Lindenhof Keramik-Museums, in der die Gestaltung eines solchen Wirtschaftsraumes nicht nur praktischen Anforderungen genügen, sondern auch gemütlich und schön sein sollte. Max Roesler halte eine zündende Geschäftsidee, wie man eine Symbiose von Möbeln und Keramik herstellen und damit die Beschäftigten zweier Fabriken In Schlierbach In Arbeit und Brot halten konnte.

 

Dem damaligen Leiter der Keramikfabrik, Max Roesler, wird der Verdienst zugeschrieben, durch seine Idee Küchenmöbel der Fabrik am Eisenhammer und Erzeugnisse der Wächtersbacher Keramikfabrik zusammengeführt zu haben. Keramik-Kacheln wurden zur Verblendung und Verschönerung einzelner Küchenelemente eingesetzt, nützliche Küchenaccessoires aus Waechtersbacher Keramik als Ergänzung der Küchenausstattung angeboten. Aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts gab es schon einen umfangreichen Katalog, mit dessen Hilfe sich Kaufinteressierte eine Küche ganz nach dem eigenen Geschmack und eigenen Vorstellungen zusammenstellen konnten.

Eine Frage wurde von den Ausstellungsbesuchern häufiger gestellt: Wer konnte sich zu dieser Zeit eine Küche in dieser Ausstattung leisten? Die im Lindenhof-Museum gezeigte Küche stammt aus einem ehemaligen Forsthaus und wurde für ein halbes Jahr Marlies und Klaus-Dietrich Keßler zu Ausstellungszwecken ausgeliehen. Diese haben in einem eigens dafür bestimmten Raum, der mit alten Küchenfliesen nach bekanntem Vorbild hergerichtet wurde, die Küchenmöbel aufgestellt und, durch eigene Stücke ergänzt, mit vielen original Waechtersbacher-Keramik-Accessoires und ihrer Ausstellung  „Der gedeckte Tisch" heimelig und originalgetreu ausgestattet. Tatsächlich konnte sich nicht jeder diese Möbel und eine solch aufwendige Ausstattung leisten, denn immerhin waren für einen Küchenschrank aus der Schlierbacher Möbelfertigung zirka 300 Reichsmark und für eine komplette Kücheneinrichtung uni die 1000 Reichsmark auf den Tisch zu legen (berechnet nach der Brutto-Preisliste der Fabrik von 1926, die in ihren Verkaufsbedingungen allerdings einen Rabatt von 50 Prozent einräumte). Für zirka 0,36 Gramm Feingold musste man zu jener Zeit eine Reichsmark zahlen; die gleiche Goldmenge kostet aktuell zirka 15,55 Euro, wobei der Vergleich etwas hinkt, da der Goldpreis in diesem Jahr einen historischen Höchststand erreicht hat.

Gemütlich sollte die Küche sein, denn das war Anfang des 20. Jahrhunderts der Raum, in dem man sich die meiste Zeit aufhielt; die „Gute Stube" war nur etwas für Feiertage und besondere Anlässe. Vertraute Namen wie Gerda und Gertrud hatten die Produkte von damals - bezeichnenderweise waren es in der Regel Frauennamen, mit denen man die verschiedenen Ausführungen und Dekors der Küchen unterschied. Die Grundfarben der aus Holz gefertigten Möbel waren braun, blau und weiß; das Dekor der keramischen Verblendungen, so gewünscht, konnte sich der Käufer anhand von Mustern aussuchen. Eine Kombination von schön und praktisch machte den Küchenraum wohnlich. Ein einheitlicher Wohnstil konnte auch dadurch gepflegt werden, dass man nützliche Helfer, wie Vorratstöpfe, Schütten, Handtuchhalter oder Schlüsselbretter im gleichen oder ähnlichen Muster mit der selben Farbstellung dazukaufen konnte.

So mancher Spruch auf den dort eingesetzten keramischen Kacheln war da recht lehrreich, wie zum Beispiel auf einem Schlüsselbrett: „Du sollst die Schlüssel nicht verlegen, denn Ordnung ist des Hauses Segen!". Wer das Geld nicht auf einmal aufbringen konnte - eine Einrichtung auf „Pump" zu kaufen, war damals nicht üblich - der hatte die Möglichkeit, seine Küchenausstattung nach und nach zu ergänzen. Bei den über einen längeren Zeitraum produzierten Dekoren wie Strohblumen, Zwiebelmuster oder Windmühlen war das unproblematisch. Nur kurze Zeit hergestellte Muster konnte man mit dazu passenden neuen Motiven kombinieren, was ja durchaus einen gewissen Reiz haben konnte. Wer die Gemütlichkeit von Küchen im vertrauten Stil der Waechtersbacher Keramik Anfang des vergangenen Jahrhunderts einmal nacherleben möchte, der kann das auf Voranmeldung bei Marlies und Klaus-Dietrich Keßler tun.

Quelle: Gelnhäuser Neue Zeitung 04.09.2012