Vogelsberg als Mikrokosmos



FORSCHUNGSPROJEKT Professorin und Studenten aus Montreal suchen in Brachttal Beispiele für NachhaltigkeitFORSCHUNGSPROJEKT Professorin und Studenten aus Montreal suchen in Brachttal Beispiele für Nachhaltigkeit

BRACHTTAL (dju). Im Rahmen eines Projekts über Nachhaltigkeit besuchten sieben Studentinnen und Studenten der Universität Montreal das Lindenhof des Ehepaars Keßler in Streitberg. In einer Kooperation mit der Universität Fulda wurde das Projekt seit zwei Jahren vorbereitet.

Professor Rosemarie Schade. Dozentin für jüngere Geschichte an der Universität Montreal, begleitet den zweimonatigen Aufenthalt ihrer Studenten, für die Universität Fulda zeichnet Dr. Hans-Otto Wack verantwortlich, der sich hier vor allem einen Namen gemacht hat durch seinem Einsatz für Wasserschutz im Vogelsberg. Doch auch in Uganda arbeitet er an Projekten für sauberes Trinkwasser.

Gemeinsam mit den Dozenten sollen die Studenten in diesen zwei Monaten hautnah erleben, was Nachhaltigkeit in Natur, Wirtschaft und Kultur bedeutet. Zum einen theoretisch, durch begleitende Lektüre, vor allem aber praktisch, in Betrieben und Einrichtungen. Die Idee dabei war, dass Studenten ihr Fach einmal am Objekt studieren können und sich nicht nur durch Bücher und Websites wälzen müssen. Der Vogelsberg war für Schade die logische Wahl für ein solches Vorhaben gewesen, betont sie, weil man auf engem Raum einen regelrechten Mikrokosmos der Entwicklungen vorfinde, die sich in ganz Deutschland abgespielt hätten. Auch die Möglichkeit zum Wandern sei für sie nicht unbedeutend. Das Wandern gehöre zur Nachhaltig keil dazu, da man beim Laufen die Umwelt sehr bewusst erlebe und Zeit zum Reflektieren habe. Freizeit sei allgemein sehr wichtig, ergänzte einer der Studenten, da bei fehlenden Erholungsphasen nichts auf Dauer bestehen könne - weder Mensch noch Natur.

Jedem kanadischen Studenten wird ab dem 19. Juli ein deutscher Student zur Seite gestellt, mit dem sie dann gemeinsam ein Praktikum in der Landwirtschaft oder in den Bereichen Wasser und Energie absolvieren. Währenddessen bereiten die allesamt privat in Brachttal untergebrachten Studenten sich intensiv vor, verbessern ihr Deutschvokabular und beschäftigen sich mit nachhaltigen Praktiken. Zudem besuchen sie kulturelle Einrichtungen wie zum Beispiel das Lindenhofmuseum, um eine andere Seit, der Entwicklung zu beleuchten, und den Hessenforst in Niederrodenbach. Der Gegenbesuch der Fuldaer Studenten wird schließlich nächstes Jahr erfolgen.

Marlies und Klaus Keßler, die Betreiber des Keramikmuseums in Streitberg, haben eine der Studentinnen bei sich untergebracht, an diesem Tag war aber die gesamte Gruppe anwesend, um das Museum zu begutachten. Obwohl diese sich untereinander noch nicht kannten - alle sieben stammen aus unterschiedlichen Fachbereichen - konnte man den Gästen ansehen, dass sie gut miteinander harmonieren. Aufgeschlossen und interessiere führten sie eine kurze Diskussion mit ihren Dozenten über Nachhaltigkeit, Politik, Ideologien, Macht und die Rolle des Verbrauchers, bevor die Führung begann.

Was nun die Waechtersbacher Keramik mit Nachhaltigkeit verbindet, mag sich nicht sofort erschließen. Bei dem Rundgang zeigte sich aber: so manche, nicht zuletzt die Fachwerkscheune selbst. Und was nicht zu unterschätzen sei, so Schade, dass man Kunst und Kultur brauche, um ein stabiles, nachhaltiges System aufrechtzuerhalten. Während der Führung fungierte die Dozentin als Dolmetscher, für die Erklärungen der Keßlers, Wack ergänzte diese immer wieder auf Englisch. Dabei zeugten einige kluge Nachfragen von dem Interesse, das die jungen Wissenschaftler an den Tag legten.

Dieses Projekt sei eine ungewöhnliche ehe Art zu lehren, sinnierte Schade nach der Führung, woraufhin einer der Studenten konterte, dass es aber die Art sei, wie früher gelehrt wurde -  mehr in der Praxis und nicht nur theoretisch, anhand von Büchern und Statistiken. Es sei eine wunderbare Gelegenheit den eigenen Horizont zu er weitem und „vom Leben zu lernen", freute er sich. Die Kommilitonin, die bei den Keßlers zu Gast ist, meldete sich ebenfalls zu Wort Annie, 19. „Es ist toll, eine großartige Erfahrung", erklärte sie. Und so ganz nebenbei baue man gängige Vorurteile ab. Deutsche lachen kaum? „Ich lache mit meinen Gastgebern ständig", unterstrich die junge Dame, fügte dann aber grinsend an, dass sie gelegentlich nur die Hälfte verstehe. Mit viel Einsatz der Hände könne man sich aber dann doch meistens verständigen, resümierte sie. Und nun? Jetzt warten die Kanadier gespannt auf ihre deutschen Studienpartner und genießen solange das „small town life" (Kleinstadtleben) in Brachttal und Umgebung.

 

Quelle: Gelnhäuser Tageblatt 08.07.2013

Aktualisiert (Dienstag, den 23. Juli 2013 um 07:34 Uhr)