Kein -Abgesang, sondern Blick nach vorn



Geburtstagsfeier zum 180-jährigen Bestehen der Waechtersbacher Keramik in Schlierbach

Der Frankfurter Kunsthistoriker Pascal Hess würdigte das Werk von Christian Neureuther. Wolfgang Ernst Fürst zu Ysenburg und Büdingen räumte Fehler vor der Insolvenz ein. Professorin Dr. Rosemarie Schade suchte nach „Scherben vergangener Feste“ (Fotos: Hoppe)

Brachttal-Schlierbach (hop). Viel Anerkennung haben Initiator Klaus‑Dietrich Kessler vom Lindenhofmuseum und Bürgermeister Christoph Stürz für die Gemeinde Brachttal erfahren, da sie auf den Tag garen nach 180jahren am Freitagabend eine Geburtstagsfeier für die Wächtersbacher Keramik auf die Beine gestellt hatten. Wolfgang Ernst Fürst zu Ysenburg und Büdingen hatte hierzu sogar den originalen Sozietätsvertrag vom 8. Juni 1832 mitgebracht. Zwei fachkundige Referenten, Professor Dr. Rosemarie Schade aus Kanada und Kunsthistoriker Pascal Hase aus Frankfurt, konnten viele Fakten und Interessantes zur Keramikfabrik und Christian Neureuther beisteuern.

 

Im hübsch dekorierten Dorfgemeinschaftshaus von Schlierbach sind zahlreiche Gäste vom Team der Rathausschänke bewirtet und von Bürgermeister Christoph Stürz begrüßt worden. Stürz dankte dem Fürsten für die originale Urkunde des Sozietätsvertrages, Ulrich Ber­ting für die Bestückung der Vitrinien, besonderes Lob erhielt Klaus-Dietrich Kessler. Es solle kein Requiem und kein Abge­sang gehalten werden, sondern Wahrung der Tradition und Historie stehe im Vordergrund.

Der Blick müsse nach vorne gehen, so führte Stürz aus. Zwar sei die Fabrik am Ende, aber der Standort bleibe und könne weiterentwickelt werden. Das Gelände sei für Investoren interessant, so könnten Unternehmen angesiedelt und Arbeitsplätze geschaffen wer­den, auch ein Museumsbetrieb sei denkbar. Beispielsweise sei die Musikschule Eurich, die mit drei Schülern das Programm umrahmte, etwa auf dem Gelände angesiedelt.

Die Kreisbeigeordnete Sigrid Schindler übersandte Grüße des Landrats und aller Kreis­ gremien. Gerade sie als Schlierbacherin und Hobbysammler in der Keramik fühle sich sehr verbunden und lobte die Ge­meinde, trotz Schließung der Produktionsstätte eine Geburts­tagsfeier veranstaltet zu haben. Die damalige Fabrikgründung habe Generationen geprägt und vielen Zuzüglern eine Heimat geboten.

Wolfgang Ernst Fürst zu Ysenburg und Büdingen bedankte sich für die Einladung und die Feier, obwohl ei sicher sei, dass einige Leute böse auf seine Familie seien. Ursache der Insolvenz sei die globale Entwicklung, aber fraglos seien auch Fehler gemacht worden. Dennoch hätten sie sehr viel für die „Fabrik“, wie es allgemein nur heißt, getan, und er hoffe, dass es weitergehe. Professorin Dr. Rosemarie Schade aus Kanada stammt eigentlich aus Schlierbach und sucht „nach Scherben der vergangenen Feste“. Sie zeigte entsprechend Momentaufnahmen der verschiedenen Geburtstagsfeiern auf und zitterte aus Artikeln und Chroniken. Die erste Feier fand 1907 in Leipzig, nicht in Schlierbach statt. Gelobt wurde die Zusammenarbeit zwischen Fürst und Geschäfts­leitung, was nicht so ganz der Realität entsprach. Immerhin wurde damals die Grundlage der Versicherung von Arbei­tern und Angestellten gelegt. 1932 wurde das Jubiläum im Frankfurter Hof gefeiert, die Belegschaft bekam große Zu­wendungen.

Auch 1957 wurde das gute Arbeitsverhältnis gelebt, in der Festrede von Fürst Otto Friedrich wurden die alten Tugenden und alte Verbundenheit unabhängig von politischen Strömen hervorgehoben. Als Werbegeschenke gab es kera­mische Anstecker und Aschenbecher. Die Belegschaft aber bekam eine Kegelbahn. In der Rede zum Fest 1982, das mit einem großen Essen und sogar einem Feuerwerk auf der Ronne­burg gefeiert wurde, betonte der Fürst Ähnliches wie schon 1957. Erstmals wird Erich Reifschneider als Vorsitzender des Betriebsrates zitiert, der die Verantwortung des Fürstenhauses anmahnte. Außerdem wurden Arbeiter ausgezeichnet, die 50 Jahre dabei waren. 2007 gab es kein Feuerwerk mehr, ein Glas Sekt musste reichen. Ein Jahr zuvor hatte nach der Insolvenz Rosenthal die Fabrik übernommen. Verantwort­liche wie etwa Geschäftsführer Rainer Mann waren positiv gestimmt, komme doch nun zur Gebrauchskeramik auch Edles dazu. Es gab Becher, die lieblos gestaltet und verarbeitet gewesen seien und weit von den Ansprüchen entfernt waren. Das Spiel mit zerdepperter Keramik sei wohl ein symbolträchtiger Ausblick gewesen.

Einzig die in Frankfurt ver­anstaltete und von Pascal Hess betreute Ausstellung war groß. Kunsthistoriker Hess bedauerte es in seinem Festbeitrag, dass die Forschung zu Christian Neureuther schwierig sei, ob­wohl jener regional, national und sogar international zu Ruhm gekommen ist. Neureuther habe Waechtersbach als einzigen Hersteller von Jugend­stil Keramik etabliert. Obwohl relativ wenig von ihm bekannt sei, finden sich seine Werke in großen und bedeutenden Mu­seen und großen Auktionshäute sein.

Neureuther verband Kunst mit dem Alltag

Der Obersotzbacher Neureuther besuchte die Kunstschule in München, unternahm viele Fortbildungsreisen, wirk­te ab 1900 in Schlierbach und machte die Fabrik zu einer bekannten Fertigungsstätte. Er war nicht akademisch, aber traditionell und pathetisch aus­gebildet und war dennoch auf Augenhöhe mit den Großen. Ein toller Künstler, sehr solide, dem es gelang, Künstlerisches und Alltägliches zu fertigen. Er schaffte es auch, die damals neuesten Strömungen einzufangen, entwickelte Gespür und brachte die Fabrik voran. Im von ihm gegründeten keramischen Atelier wurden Seriengeschirre und Gegenstände entwickelt, die In Verbindung mit Glasuren, wie es sie nur bei de Waechtersbacher Keramik gibt, einzigartig sind.

Oft prägen grafische Figuren und dunkle Glasuren die Gegenstände. Mit seiner autodidaktischen Forschung grenzte er sich und seine Fabrik vom Mittelmaß ab. Ob er in der Möbelfabrik am Eisenhammer, auch Möbel entwarf, ist noch zu erforschen, so der Kunsthistoriker. Neureuther gehört zu den weltbekannten Künstlern, es stelle sich die Frage, warum er erst heute große Ehrung er­fährt.

Immerhin entstand Schlier­bach praktisch nur durch die Keramikfabrik, folglich sei al­les forschungs- und erhaltungs­würdig, das gelte auch für sein Grab. Das Schlierbacher Orts­bild sei bis heute noch intakt, mahnte der Fachmann ein­dringlich die Erhaltung an. Nach einem Schlusswart das Bürgermeisters nutzten viele der begeisterten Gäste die Möglichkeit, die Exponate zu bewundern und sich mit Fachleuten und Gleichgesinnten auszutauschen.

 

Quelle: Gelnhäuser Neue Zeitung 06.06.2012

Fotos: Hoppe