Wandteller, so schon wie Gemälde
Sonderausstellung im Lindenhof Keramik-Museum in Streitberg
Brachttal-Streitberg (dl). Dem heute zunehmend in Vergessenheit geratenen Wandschmuck, der Mitte des 19. Jahrhunderts mit den phantasievoll gefertigten Wandtellern in Mode kam, widmen Marlies und Klaus-Dietrich Kessler eine Sonderausstellung in ihrem Lindenhof Keramik-Museum in Streitberg.
Dabei haben sie die Exponate aus der Fertigung der Wächtersbacher Keramikfabrik so ausgewählt, dass der Besucher einen Eindruck davon bekommen kann, wie die Verfeinerung im Herstellungsprozess vom Kupferdruck- zum Steindruckverfahren eine geradezu malerische Ausstattung der Wandteller ermöglicht hat.
Mit der um 1860 aufkommenden Reiselust und dem damit beginnenden Fremdenverkehr in Deutschland entstand der Wunsch, mit Reiseandenken die Wohnräume zu schmücken. Bei den Entwürfen für keramische Produkte wurde dem zunehmenden Interesse an Landschafts- und Reisemotiven Rechnung getragen. Es entstand auch in der Wächtersbacher Keramik eine große Auswahl an Wandtellern, die zunächst einfarbig im Kupferdruck bebildert wurden.
Der anspruchsvoller werdende Geschmack nach mehrfarbigen Reisetellern", die so schön wie gemalt sein sollten, hatte um 1900 zur Folge, dass die Keramikfabriken nach und nach auf das Steindruckverfahren umgestellt haben. Ausgewählte Stücke, die einen Vergleich der beiden Verfahren zulassen und die Entwicklung sichtbar machen, sind in einer kleinen Sonderausstellung mit seltenen Wandtellern aus der Zelt des Historismus und des Jugendstils im Lindenhofmuseum am Sonntag, 4. April, von 14 bis 18 Uhr, oder nach vorheriger telefonischer Vereinbarung zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Um mit den inländischen Produzenten - zum Beispiel Villeroy und Boch, Damm oder Aschach - konkurrieren zu können, führte auch die Wächtersbacher Keramikfabrik um das Jahr 1840 die Kupferdrucktechnik ein. Sie hatte bis dahin ihre Produkte mit Handmalerei und Reliefdekor hergestellt.
Das Verfahren beruht im Wesentlichen auf der Eigenschaft des Scherbens, eine stark saugende Oberfläche nach einmaligem Brennen vorzuweisen. Das vom Kupferstecher vorher seitenrichtig auf die Kupferplatte übertragene Motiv wird dabei zunächst auf ein spezielles Druckpapier als Zwischenträger seitenverkehrt gedruckt. Der so entstandene Druckbogen wird in einem zweiten Arbeitsschritt auf den Scherben übertragen. Dabei werden von der Oberfläche die Farbpartikel aufgesaugt und so das Motiv seitenrichtig auf dem Teller abgebildet. Mit dem abschließenden Glasurbrand wird das Motiv dauerhaft fixiert.
Das im Vergleich zur Tellermalerei kostengünstigere Verfahren zur Massenproduktion hat dazu geführt, dass die Teller in das bürgerliche Wohnzimmer Einzug hielten. Die Schmuckstücke waren in dieser Zeit bevorzugt mit Landschaftsmotiven und Sehenswürdigkeiten dekoriert. Eine repräsentative Auswahl davon ist im Lindenhofmuseum zu sehen.
Einziges Manko dieser Stücke war nach dem Zeitgeschmack um 1900 die monochrome Darstellung des Motivs. Die Wächtersbacher Fabrik versuchte zunächst, das Kupferdruckverfahren aufzuwerten, indem sie zum Beispiel weitere Farben durch zusätzliche aufwendige Handmalerei auftrug.
Um die Farbigkeit mit einem bezahlbaren Aufwand in die Keramikproduktion zu bringen und gleichzeitig einen Qualitätssprung zu vollziehen, kam den Herstellern keramischer Erzeugnisse das Steindruckverfahren zu Hilfe. Die sogenannte Lithografie entwickelte Alois Senefelder im Jahr 1798.
Die Wächtersbacher Fabrik führte diese Drucktechnik bereits im Jahre 1870 mit der Unterstützung ehemaliger Villeroy und Boch-Mitarbeiter ein, die bereits über entsprechende Erfahrungen verfügten. Als Druckträger dient dabei eine Kalkschiefersteinplatte, wie sie in Solnhofen gebrochen wurde.
In die vorher angefeuchtete Steinplatte wird eine fetthaltige Farbe eingewalzt, die der Stein nur an der vorher mit einer Tusche oder Kreide aufgebrachten Zeichnung annimmt. Mit einer Steindruckpresse wird das Motiv dann auf eine Trägerfolie gedruckt, die -ähnlich wie beim Kupferdruck - zur Übertragung auf den Scherben dient. Für jede weitere Farbe muss dieser Arbeitsgang wiederholt werden.
Die Ergebnisse dieses aufwendigen Druckverfahrens können die Besucher in einer ganzen Reihe von Exponaten im Lindenhofmuseum Streitberg begutachten. Mehrfarbig bedruckte runde und ovale Wandteller sind hier ausgestellt. Sie sind mit aufwendigen Landschafts- oder Tiermotiven versehen und lassen sich durchaus mit der Aussagekraft und der optischen Wirkung eines zeitgenössischen Ölgemäldes vergleichen .
Quelle: Gelnhäuser Neue Zeitung 27.03.2010