Großes „W“ für Fortbestand



Klaus-Dietrich Keßler belegt die frühen internationalen Kontakte der künstlerischen Abteilung der Fabrik.	(Foto: Löchl)Internationaler Museumstag: Klaus-Dietrich Keßler glaubt an die Zukunft der Keramikfabrik

Brachttal-Streitberg (dl). Als Mitglied des Hessischen Museumsverbandes hatten Marlies und Klaus-Dietrich Keßler zum Internationalen Museumstag Ihr Lindenhof Keramikmuseum ganztägig geöffnet, um nicht nur an die große Vergangenheit der Wächtersbacher Keramikfabrik zu erinnern, sondern auch um aufzuzeigen, wie man „die Zukunft so gestalten kann", dass dieses einzigartige Erbe weiter gepflegt werden und vielleicht sogar ein Baustein für ein künftiges Fremdenverkehrskonzept daraus entstehen kann.

 

Keßler wollte mit seinem Vortrag zum Internationalen Museumstag nicht nur Anfang, Blüte und Niedergang der Keramikproduktion in Schlierbach aufzeigen, sondern vielmehr getreu dem Motto der Veranstaltung „Zukunft gestalten" einen Ausblick geben, wie man die Fabrik „zu neuem Leben" erwecken kann. Er greift dabei Ideen auf, die er selbst, der Förderkreis        Steingut Schlierbach, Freunde der Wächtersbacher Keramik und n kreative Sammler entwickelt haben, um die Fabrik in Schlierbach wiederzubeleben.

Unter Max Rösler als leitendem Direktor (1874 bis 1890) erlebte das 1832 gegründete Unternehmen nicht nur künstlerisch und wirtschaftlich eine einzigartige Blütezeit, auch soziale Einrichtungen wurden ins Leben gerufen, beziehungsweise unterstützt: Krankenkasse, Feuerwehr, Werkshäuser, Nähstube, Turnverein und vermutlich die erste Werkszeitung in Deutschland, Der Fabrikbote". Niederlassungen wurden in europäischen Großstädten gegründet, die Firma boomte sich mit circa 400 Beschäftigten hinter Villeroy & Boch an zweite Stelle in der Branche. Als Beispiel dafür, dass man in der Wächtersbacher Keramik sehr frühzeitig auch internationale künstlerische Strömungen aufgenommen hat, zeigte Keßler einen Lampenfuß mit der Darstellung eines Puttos von Carl Bull (1918/1919 dem Vorbild von Michael Powolny von den Wiener Werkstätten nachempfunden).

Im Jahr 1914 hatte die Fabrik um die 800 Mitarbeiter. Mit dem Ersten Weltkrieg begann dann ein Auf und Ab der Wächtersbacher Keramik; mit dem Zweiten Weltkrieg war schließlich ein Rückgang der Produktion und damit auch der Mitarbeiter (circa 200) zu verzeichnen. Mit dem Beginn des Exports in die USA in den 1960er Jahren ging es noch einmal aufwärts. Der große Brand in der Fabrik 1968 war nicht nur produktionstechnisch ein Problem, sondern es wurden viele wichtige Dokumente und Vorlagen sowie künstlerische Entwürfe vernichtet. Im Jahre 1988 hatte die Fabrik noch circa 450 Mitarbeiter. Mit dem. sukzessiven Einbrechen des Marktes in der Zeit danach durch Billigprodukte aus dem Ausland beginnt gleichzeitig wirtschaftlich der freie Fall des Unternehmens. Die weitere Entwicklung und das Ende der Produktion im Jahre 2011 ist noch vielen Menschen in der Region im Gedächtnis.

Was bleibt, sind neben der langen Tradition, dem künstlerischen Erbe und der sozialen Entwicklung in der Region die zu einem Teil denkmalgeschützten Gebäude. Es gibt wieder einen Shop, in dein man Produkte von drei verschiedenen Manufakturen kaufen kann. Am 22. Juni diesen Jahres findet dort ein Markt statt, an dem auch eine Vorführung der Raku-Keramik-Brenntechnik geplant ist (Ra-ku, deutsch „Freude“, wurde im 16. Jahrhundert in Japan erfunden und kann nur im Freien praktiziert werden). Jedes mit dieser Brenntechnik hergestellte Keramikteil ist im Grunde ein Unikat. Geplant ist auch die Produktion von Kleinserien, die dann eine eigene neue Bodenmarke erhalten werden. Das große W für Wächtersbach, vier Punkte und die Schrift: die alte Fabrik. Noch Zukunftsmusik, aber durchaus im Bereich des Möglichen, ist auch die Wiedereinrichtung eines eigenen Firmenmuseums; Ausstellungsmaterial ist noch reichlich vorhanden.

Quelle: Gelnhäuser Neue Zeitung 16.05.2013

Aktualisiert (Samstag, den 22. Juni 2013 um 13:34 Uhr)