Ein Ort zum Verweilen



Silke Tiemann und Klaus-Dietrich Keßler mit den Besuchern vor dem denkmalgeschützten Verwaltungsgebäude.	(Foto. Löchl)Teilnehmer an der Route der Industriekultur Rhein-Main machen in Brachttal Station

Brachtial-Schlierbach(dl). Sehr gut als PR-Be­rater der Gemeinde Brachttal könnte Klaus-Dietrich Keßler, Experte und Sammler Wäch­tersbacher Keramiken, tätig werden, denn er verstand es, einer Gruppe von mehr als 25 Teilnehmern, die anläss­lich der 12. Tage der Industrie­kultur Rhein-Main nach Brachttal gekommen waren, nicht nur die Geschichte der hiesigen Keramikproduktion nahezubringen, sondern auch das Interesse für den von der Fabrik geprägten Ort Schlier­bach zu wecken. Bei einer Führung durch das historische Fabrikgelände, das Heimat­museum in Spielberg und das private Lindenhof Keramik-Museum In Streitberg wurde den Besuchern ein fundierter Einblick In die Keramikher­stellung und die daraus her­vorgegangenen sehenswerten Erzeugnisse gegeben.

Brachttal ist eine Gemeinde, bei der sich für Keramik-Inte­ressierte und Sammler auf je­den Fall ein Kurzurlaub lohnen sollte, ist Keßlers Überzeu­gung, denn zum Beispiel in Schlierbach begegnet man auf Schritt und Tritt den Spuren und Zeugnissen, die die Fabrik in mehr als 175 Jahren Beste­hen hinterlassen hat. Bis zu 800 Beschäftigte hatte die Fa­brik in ihrer Blülqzeil, und die massiven fabrikeigenen Stein­häuser, in denen Mitarbeiter untergebracht waren, prägen noch heute einen Teil des Orts­bildes. Denkmalgeschützte Bauten befinden sich auf dem ehemaligen Fabrikgelände, die Keßler den Besuchern gleich nach der Begrüßung auf dem Platanenhof zeigte. Nur noch ein Sandsteingebäude aus der Anfangszeit von 1856/57 ist er­halten geblieben. Neben dem Direktionshaus im spät-klassi­zistischen Stil, das aus einem Mittelbau und zwei Seitenflü­geln besteht, steht links die al­te Remise, die heute privat be­wohnt wird, und rechts das alte Lagergebäude. Rechts daneben im rechten Winkel zur ehemali­gen Direktion steht das gut er­haltene Verwaltungsgebäude aus der Zeit zwischen 1870 und 1890. An dem unter Denkmal­schutz stehenden Haus ist an der Vorderseite eine Uhr ange­bracht; die Sirene verkündete Schichtanfang und ende für die Fabrikarbeiter und war gleichzeitig für die Bauern auf dem Feld eine Orientierung, was die Stunde geschlagen hat­te, da diese in früheren Zeiten noch nicht über eine Armband­uhr und meistens auch nicht über eine Taschenuhr verfüg­ten. Von der Vogelsberger Süd­bahn, die inzwischen abgebaut worden ist, ging ein Gleis di­rekt aufs Fabrikgelände. Im Ge­meinde-Museum in Spielberg ist der ursprüngliche Verlauf der Bahn mit einem Modell nachgebaut worden, verwies Keßler die Zuhörer auf die spä­tere Führung dort.

Jeweils nach den Weltkrie­gen waren Blütezeiten der Fa­brik, weil es da nach der Zerstö­rung in den großen Städten ei­nen riesigen Bedarf an kerami­schen Erzeugnissen gab. Auch wenn 1968 bei dem großen Brand in der Fabrik viele Doku­mente und Vorlagen verloren gegangen sind, so war es eine Gelegenheit, die veralteten Fer­tigungsanlagen zu erneuern. Diese Notwendigkeit bestand erneut spätestens 2006 bei der Übernahme der Fabrik durch Turpin Rosenthal, doch der hat­te das erforderliche Investiti­onsvolumen offensichtlich un­terschätzt. Im Jahr 2011 wurde die auch durch veraltete Anla­gen unrentabel gewordene Pro­duktion eingestellt. Der inzwi­schen gegründete Förderverein will das Werksmuseum wieder aufbauen und möglichst viele der noch vorhandenen allen Dokumente, Entwürfe, Gipsfor­men und früheren Erzeugnisse erhalten. Der Fortbestand der Produktionsstätte soll zum Bei­spiel mit Hilfe der Raku-Kera­mik-Brenntechnik gesichert werden.

Im Anschluss an den Film­vortrag über die frühere Stein­gut-Produktion wurde den Be­suchern eine entsprechende praktische Vorführung gebo­ten. Im Oullet-Shop hatten In­teressenten außerdem die Mög­lichkeit, alte und neue Stücke aus der Wächtersbacher Pro­duktion und von den Firmen Weimar und Könitz zu erwer­ben, die dort auch verkauft werden. Silke Tiemann, die jet­zige Geschäftsführerin, stellte den Werksverkauf und die an­gebotenen Raku-Kurse vor; sie erläuterte auch, welche Überle­gungen dazu geführt haben, wieder eine kleine Schaupro­duktion aufzubauen. Zusam­men mit dem Förderverein hat der jetzige Eigentümer ein Inte­resse daran, den Produktions­standort zu erhalten. Dass das auf jeden Fall lohnenswert ist, stellten die Teilnehmer der Führung bei der Besichtigung der Keramikausstellungen in den Museen Spielberg und Streitberg fest.

Quelle: Gelnhäuser Neue Zeitung 29.07.2014