Betrieb einfach weiterlaufen gelassen



Besuch vom Hessischen Museumsverband im Lindenhof Museum

Klaus-Dietrich Keßler gibt „Der gedeckte TischBrachttal-Streitberg (dl). „Man hat es einfach so weiterlaufen lassen", anstatt die ursprünglichen großen Pläne zur Erneuerung der Fertigung umzusetzen, war eine der Erklärungen Klaus-Dietrich Keßlers, warum seit vorgestern offenbar das endgültige Aus für die Wächtersbaeher Keramikfabrik besiegelt ist. Anlässlich eines Lehrgangs in Büdingen für die Betreiber kleiner Museen nutzten Mitglieder des Hessischen Museumsvereins die Gelegenheit, das private Lindenhof-Museum in Streitberg zu besuchen.

 

Marlies und Klaus-Dietrich Keßler sind als Besitzer ihres privaten Lindenhof Keramik-Museums in diesem Jahr Mitglied im Hessischen Museumsverein geworden. Im Rahmen der Förderung der Grundlagenarbeit haben sie an einer Inventarisierungsschulung des Verbandes teilgenommen. Die beiden Referenten Kirsten Hauer und Friedhelm Krause ließen es sich zusammen mit anderen Teilnehmern des Seminars nicht nehmen, bei dieser Gelegenheit dem Keramik-Museum in Streitberg einen Besuch abzustatten.

 

Vor der Führung durch seine umfassende Sammlung der Erzeugnisse aus der Wächtersbacher Keramikfabrik gab Klaus-Dietrich Keßler seinen Gästen mit einem Kurzreferat einen Einblick in die bisherige Geschichte der Fabrik. Höhen und Tiefen gab es auch in der Vergangenheit, aber mit künstlerischem Engagement und kaufmännischem Geschick — manch-mal auch mit Fortune — ging es immer weiter. Wenn die Keßlers jetzt im Herzen Trauer tragen, so ist doch ihre Begeisterung für die im Laufe von annähernd zwei Jahrhunderten entstandenen Erzeugnisse der in Brachttal beheimateten Manufaktur ungebrochen.

Der „Patriarch" Max Roesler übernahm 1874 die Leitung der Keramikfabrik, und unter seiner Regie entstand ein moderner erfolgreicher Betrieb. Die Basis für seinen Erfolg war unter anderem das für die Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts, bemerkenswert große Engagement in der betrieblichen Ausbildung. und Weiterbildung und der Aufbau eines Vertriebsnetzes in ganz Europa. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde später sogar in den USA eine eigene Verkaufsorganisation aufgebaut. Entscheidend für die zunehmende Bedeutung und europaweite Beachtung der Erzeugnisse der Manufaktur war auch das künstlerische Wirken von Christian Neureuther und Ursula Fesca, um nur zwei der für das Unternehmen wichtigen Kunstkeramiker zu nennen. Zwischen 1900 und 1914 entwickelte sich die Fabrik zu einem führenden Betrieb für die Herstellung von Jugendstil-Keramik. Nach den zwei Weltkriegen erfolgte jeweils ein wirtschaftlicher Aufschwung.

Durch fehlende Modernisierungsmaßnahmen und Kreativität — es wurden keine Künstler mehr beschäftigt — ging es zum Ende des 20. Jahrhunderts mit der Produktion stetig bergab, bis vor fünf Jahren erstmals Konkurs angemeldet werden musste.

Das Gebrauchsgeschirr verlor in den Haushalten seine ursprüngliche Wertschätzung, so dass der günstigere Preis fast ausschließlich für die Kaufentscheidung bestimmend wurde. Waren aus Ländern mit einem niedrigen Lohnniveau waren dadurch eindeutig im Vorteil, zumal die fehlende Modernisierung des Maschinenparks in der Keramikfabrik es erforderte, dass der Anteil der Handarbeit nach wie vor hoch war. Entgegen der Zusagen des neuen Besitzers nach dem Konkurs wurde in die Innovation, die Modernisierung der Maschinen und in die künstlerische Gestaltung auch weiter nicht investiert. Vielmehr lief alles so weiter wie die Jahre zuvor. Das Ende eines einstmals sehr bedeutenden und erfolgreichen Unternehmens war vorprogrammiert.

Welche hervorragenden und einzigartigen Produkte die Waechtersbacher Keramik einmal hervorgebracht hat. zeigte Keßler seinen Besuchern am Beispiel der noch bis in den November gezeigten Sonderausstellung „Der gedeckte Tisch", die mit Beispielen aus der Zeit des Historismus und des Jugendstils veranschaulicht, wie Gebrauchsgeschirr einstmals eine gepflegte Tafel schmückte. Die Dekore wurden auch für die gesamte Kücheneinrichtung und sogar für technische Geräte verwendet.

Quelle: Gelnhäuser Neue Zeitung 19.10.2011